Pflege muss aus der Opferrolle raus!
Irgendwie muss ich mir jetzt langsam mal Luft machen, denn es werden immer wieder die gleichen Klischees heruntergebetet, wenn es um Pflege geht und immer wieder die gleichen Feindbilder bemüht: Das System, die raffgierigen Krankenhausdirektoren, die unfähigen Politiker und die opportunistischen Ärzte. Natürlich gibt es auch die, aber auch die Pflege selbst trägt seit Jahren dazu bei, dass die Arbeitsbedingungen vor Ort „krank“ machen. Und irgendwie spricht niemand darüber. Nur hinter verschlossenen Türen.
Seit fast 30 Jahren bin ich beratend als Coach und Mediatorin in Kliniken tätig. Und ich habe gut zu tun. Schwerpunkt: Konflikte. Und seit 10 Jahren höre ich in der Pflege immer wieder die gleichen Themen, nämlich Konflikte untereinander. Kolleg*innen, die die Arbeit nicht „gepachtet“ haben, die bei der kleinsten Unannehmlichkeit den „Schein ziehen“, anderen immer wieder erzählen wollen, wie sie ihre Arbeit anders und besser machen sollten und sich nicht an Vorgaben halten. Klatsch und Tratsch tun dann ein Übriges. Mobbing in der Pflege ist extrem weit verbreitet und weitaus mehr als bei Ärzten.
Was Konflikte angeht, ging es vor zehn Jahren noch um Patienten, Angehörige und Ärzte/Verwaltung. Jetzt schon lange nicht mehr.
Oftmals werden Dienstpläne geschrieben, die dann immer wieder, manchmal täglich, umgeschrieben werden müssen, weil sich viele Pflegekräfte (sehr) kurzfristig krankmelden. Und das oftmals, weil ihnen der Dienstplan nicht gefällt, man mit gewissen Kolleg*innen nicht zusammenarbeiten will oder ihre Wünsche nicht alle erfüllt wurden. Viele Teams existieren fast nur noch auf den Schultern der Leistungsträger. Und denen gebührt wirklich Respekt! Und die bekommen wirklich zu wenig Wertschätzung und auch zu wenig Geld. Besonders die pflegerischen Leitungskräfte.
Ich arbeite mit Stationsleitungen und Bereichsleitungen, die am Ende ihrer Kräfte sind, weil sie das Gefühl haben, nur noch zu Wunscherfüllern degradiert zu sein. Und dass sie abgestraft werden, wenn sie es nicht sind. Und das nicht von der immer wieder zitierten „bösen“ Verwaltung, sondern von ihren eigenen Teams.
Das ihre Teams erwarten, dass sie immer wieder persönlich einspringen, auch wenn die einzelnen Teammitglieder oft auch „blau“ machen. Und sie tun das dann auch. Denn diesen Leitungskräften liegen die Patienten wirklich am Herzen. Und sie leiden darunter, dass ihre Mitarbeiter*innen/Kolleg*innen Führung als etwas Unnötiges sehen, bzw. das doch nur aus dem Schreiben von Dienstplänen besteht. Mehr kann es ja nicht sein…
Und letztendlich gibt es auch genügend Pflegekräfte, denen die Patienten gar nicht so am Herzen liegen. Dieser Beruf ist schon lange kein Altruistischer mehr…
Ich erlebe allzu oft, dass es auf Stationen genügend Mitarbeiter im Plan gibt, doch viele sind einfach nicht anwesend. Mittlerweile werden Krankenscheine sogar als „Erpressungsmittel“ genutzt, um die eigenen Wünsche erfüllt zu bekommen. Und viele Leitungskräfte haben Angst durchzugreifen, denn dann machen diese Kolleg*innen ja wieder krank. Für viele pflegerische Leitungskräfte wird das langsam zu einem unlösbaren Problem.
Ich sage nicht, dass es keine Pflegekräfte gibt, die mehr verdienen sollten und dass es auch von Konzernebene und bei den Rahmenbedingungen keine Verbesserungspotentiale gibt. Dazu gehört für mich auch ein zeitiges und besseres Konfliktmanagement. Zu vieles wird aus Konfliktscheue unter den Teppich gekehrt. Und ich sage auch nicht, dass alle Krankenscheine nicht „echt“ sind, doch die Anzahl derer, die es nicht sind, hat extrem zugenommen. Viele wissen das auch, haben aber Angst das im Team anzusprechen.
Meiner Meinung nach muss es aufhören, dass Pflegekräfte nur als Opfer gesehen werden. Und viele Pflegekräfte sollten auch aufhören, sich selbst als Opfer zu sehen. Denn nur so kann man sich auf Augenhöhe begegnen und wahre Veränderung vorantreiben.
So, jetzt habe ich mir Luft gemacht und warte mal auf den „Shitstorm“, der vielleicht auf mich niederkommt…