Coaching in Kliniken

Hier ein schönes Artikel zum Thema aus dem Jahre 2007 und immer noch sehr aktuell…

Wo viele Ärzte sprechen lernen
Die drei Chefärzte der Reha-Klinik waren total zerstritten, redeten und kooperierten kaum noch
miteinander. Ein Coach sollte in Einzelgesprächen ihren Problemen auf den Grund gehen und Blockaden
auflösen. Doch bevor es dazu kam, verständigten sich die zänkischen Mediziner plötzlich – zumindest darüber,
Einzelgespräche unisono abzulehnen. Zu groß war die Angst vor dem, was der jeweils andere hinter verschlossener Tür erzählen könnte.

Das Beispiel verdeutlicht die Probleme, mit denen Coachs in der Gesundheitsbranche zu kämpfen haben:
Das Vertrauen in die Branche hat in den zurückliegenden Jahren gelitten. Coach kann sich schließlich jeder nennen, der Geld für einen Stapel Visitenkarten hat, die Berufsbezeichnung ist nicht geschützt. Dies hat Schaumschläger und Scharlatane angelockt, es gibt Tantra-, Hypnose-, Glücks- oder Bachblütencoachs. Im Klinikum Essen will die Klinikleitung die Mitarbeiterentwicklungsgespräche lieber nicht Coaching nennen, obwohl es sich um nichts anderes handelt. So schlecht ist das Image des Coachings.

Eine weitere Schwierigkeit, mit denen Coachs im Krankenhaus zu kämpfen haben: Ärzte, besonders in Führungspositionen, gelten als extrem kritikresistent. „Einen Coach zu engagieren, wird hier als Führungsschwäche verstanden – von den Betroffenen selbst, aber auch von ihrem Umfeld“, so Hans-Peter Schlaudt, selbst ursprünglich Arzt und heute Chef von Jomec, einem Beratungsunternehmen für die Gesundheitsbranche. „Ich habe noch nie von einem Chefarzt gehört, der von sich aus zur Klinikleitung
gegangen ist und gesagt hat: Ich habe in diesem und jenem Bereich Probleme und könnte Unterstützung gebrauchen.“ Bitter ist diese Hartleibigkeit vor allem, weil keine Branche Coaching dringender bräuchte als das Gesundheitswesen: Krankenhäuser werden entweder privatisiert oder müssen sich aus eigener Kraft den Markterfordernissen durch radikale Umbrüche anpassen. Erprobtes Verhalten erweist sich plötzlich als untauglich, wenn Ärzte in Führungspositionen – ob sie wollen oder nicht – zu Managern werden. Die müssen
neben dem Wohl der Patienten immer auch die Geschäftszahlen im Auge behalten. Was kann ein Coach in dieser Situation leisten?

Um diese Frage beantworten zu können, ist es zunächst wichtig, Coaching und klassische Unternehmens-beratung auseinanderzuhalten, meint Marcus Birkenkrahe, Senior Coach beim Beratungsunternehmen von Rundstedt und Partner: „Coachs liefern keine fertigen Konzepte und Lösungen. Stattdessen versuchen
sie Lösungen hervorzubringen, die der Betroffene bereits in sich trägt, an die er aber nicht herankommt. Das bedeutet, dass sich der Coach, anders als der Unternehmensberater, auch an vielen Stellen zurücknehmen muss.“ Das klingt ein wenig nach Therapie, aber auch von dieser unterscheidet sich die Arbeit des Coachs fundamental. „Therapien haben ja in der Regel keinen festgelegten Endpunkt, Coachings schon, weil sie sich in Projektform zeitlich begrenzt ganz speziellen Problemlagen widmen“, sagt Birkenkrahe.

Die Situationen, in denen die Klinikleitung trotz zu erwartender Widerstände einen Coach zu Hilfe ruft, ähneln sich stark, hat Margit Geiger, Professorin für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Personalmanagement an
der Fachhochschule Bochum, beobachtet. „Es handelt sich vor allem um drei Problemfelder: Delegation, Priorisierung und Verantwortung. Leitenden Ärzten werden zunehmend im klinischen Alltag Managementkompetenzen abverlangt, auf die sie unzureichend vorbereitet sind. Sie delegieren schlechter, weil sie glauben, alles selbst am besten zu können, oder weil ihnen entsprechende Managementmethoden fehlen.“

Nach Ansicht von Geiger, die auch Mitarbeiter von Industrieunternehmen coacht, liegen die Ursachen der Probleme aber keineswegs nur bei den Chefs: „Assistenzärzte drängen ihre Vorgesetzten auch oft in eine bestimmte Rolle, indem sie schwierige Entscheidungen nach oben abschieben.“ Doch damit eine Klinik auch in unruhigen Zeiten reibungslos funktioniert, müssen natürlich alle – Ärzte und Verwaltungskräfte, Chefs und Untergebene – ohne Brüche zusammenarbeiten: „Bei Audi reicht es ja auch nicht, wenn die Arbeiter am Band gut arbeiten. Alle im Unternehmen müssen optimal kooperieren, damit ein vernünftiges Auto herauskommt.“

Wie so ein Prozess in der Gesundheitsbranche mit Hilfe eines Coachs gelingen kann, zeigt das Beispiel der
Henriettenstiftung Hannover, einer Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie. Mit dem Dienstantritt des
neuen Chefarztes Philipp Lobenhoffer hat sich das Krankenhaus vor einigen Jahren entschlossen, den Behandlungsschwerpunkt der wiederherstellenden Gelenkchirurgie massiv auszubauen. Die nötigen fachlichen Qualifikationen waren anfangs nur unzureichend vorhanden, ein System permanenter Weiterbildung auf höchstem Niveau sollte Abhilfe schaffen. Das bedeutete aber auch, die Leistungs- und Lernbereitschaft jedes Arztes kontinuierlich weiterzuentwickeln. Neben individuellen Zielvereinbarungen haben alle Assistenz- und Oberärzte ein strukturiertes Feedback auf ihr Arbeitsverhalten erhalten. Mit Unterstützung der Bochumer Professorin Margit Geiger hat das Team an Sozialkompetenz gearbeitet, sprich am Kommunikationsstil,
an Einfühlungsvermögen und gegenseitiger Anerkennung und Wertschätzung. Dies ist unter anderem durch intensive Gespräche geschehen, in denen Führungskräfte und Mitarbeiter Ansprüche und Erwartungen, die sie aneinander stellen, besser kennenlernen konnten. Wichtigstes Ziel während des gesamten Prozesses ist gewesen, unter allen Mitarbeitern eine maximale Motivation und Identifi kation mit den neuen Zielen zu erreichen.
Von entscheidender Bedeutung ist nach Ansicht von Margit Geiger, die Beteiligten mit ihrem Fremdbild vertraut
zu machen. Um Klarheit zu schaffen, hat die Beraterin auch schon das Mittel der 360-Grad-Beurteilung angewendet: Alle bewerten das Verhalten aller, und jeder bekommt am Ende anonymisiert eine Zusammenfassung aller Einschätzungen über sich. „Da reibt sich so mancher ganz verwundert die Augen,
wenn er das Ergebnis in den Händen hält“, so Geiger.

Entscheidend für den Erfolg des Coaching ist auch die Haltung der Klinikleitung. „Wenn der Arbeitgeber einem
Mitarbeiter ein Coaching nahelegt, dann fragt der sich zunächst einmal: Ist mit mir was nicht in Ordnung? Es muss die Überzeugung herrschen, dass es um Verbesserungen geht und nicht darum, zu sagen: Du hast ein problem“, meint Jörn Remscheid, Bereichsleiter Personal und Recht beim privaten Klinikbetreiber Sana. „Ein Coaching ist in jedem Fall erfolgreicher, wenn ein Mitarbeiter freiwillig mitmacht.“

Wie aber den richtigen Coach für solch knifflige Aufgaben auswählen? Wirtschaftsprofessorin Geiger fällt es
schwer, eine allgemeine Regel zu formulieren. Wichtig sei sicherlich, dass der Coach Erfahrung in der Gesundheitsbranche hat. Ein gutes Zeichen sei auch, wenn der Coach nicht alle Werkzeuge für viel Geld neu kreieren will: „Einen Beurteilungsbogen zu entwickeln, ist zum Beispiel eine schöne Aufgabe für den Sprecher der
Assistenzärzte. Der schafft es oft auch besser als irgendein Betriebswirtschaftler, ärztliche Kriterien mit einzubauen.“ Auch für die spätere Kontrolle der Zielvereinbarungen braucht der Coach nicht noch einmal anzureisen, meint Geiger. Kümmern sollte sich dagegen der Coach um die Mitarbeiterbefragung und ihre Auswertung. Geiger: „Wenn es ein Externer macht, haben die Ärzte größeres Vertrauen.“
Autor: Christoph Lixenfeld
Kma 04/07

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