Junior Chefarzt vs. Senior Chefarzt _Junior Chefarzt vs. Senior Chefarzt_Klinikkonflikte_Klinik Coach_Ärztecoach_Heike Cobaugh

Fallbeispiele aus dem Klinikalltag: Wenn der Juniorchefarzt auf den Seniorchefarzt trifft

In diesem Fallbeispiel möchte ich anhand einer realen Situation (Namen von Personen und Abteilungen wurden natürlich geändert), Umstände aufzeigen, wie es in Kliniken zu unterschiedlichen Konfliktsituationen kommt. Alle Beispiele kommen aus meiner Praxis und beschreiben die Situation vor Beginn meiner Arbeit mit den Führungskräften und/oder den Teams.

Mein Ziel ist es aufzuzeigen, wie Konflikte Kliniken lähmen können und wie wichtig es ist, Konflikte frühzeitig zu thematisieren und anzugehen.  Weitere Informationen zu dem Thema: „Konfliktlösungen im Klinikalltag“  finden Sie in meinem Ebook: Wie Konflikte Kliniken lähmen. Erhältlich über Amazon als Druckversion oder als PDF kostenfrei über diese Webseite. Natürlich können Sie sich auch gerne direkt an mich wenden, wenn Sie persönliche Hilfe vor Ort benötigen.

Fallbeispiel 2: Wenn der Juniorchefarzt auf den Seniorchefarzt trifft

Dr. Schmidt ist Chefarzt der neu etablierten Klinik für Plastische, Hand- und Ästhetische Chirurgie eines Lehrkrankenhauses mit über 1.000 Betten und 2.900 Mitarbeitern. Es ist seine erste Chefarztposition, die er mit Freude und hoch motiviert angetreten hat.

Sein Auftrag und sein Ziel ist es, diese Fachklinik schnell und effizient ins Laufen zu bringen und durch entsprechende Patientenzahlen den Ruf der Klinik und seinen eigenen in der Region zu zementieren.

Die Klinik wurde vor einem Jahr eröffnet und es gab schon einen Vorgänger. Dieser hatte sich durch fehlende Motivation und Kompetenz ausgezeichnet, weshalb niedergelassene Kollegen immer weniger Patienten überwiesen und hoch motivierte Nachwuchsärzte die Abteilung desillusioniert verlassen hatten.

Innerhalb kürzester Zeit merkt Dr. Schmidt, dass der orthopädische Chefarztkollege, Prof. Dr. Maier, der schon viele Jahre im Klinikum tätig ist und nur ein paar Jahre vor der Rente steht, selbst handchirurgische Eingriffe vornimmt. Was er auch schon bei seinem Vorgänger getan hat. Somit macht er ihm natürlich auch Patienten streitig.

Obwohl es von der Geschäftsführung eine klare Direktive bezüglich der Zuordnung gibt, hält sich Prof. Dr. Maier nicht daran. Es kommt immer wieder zu hitzigen Diskussionen zwischen den beiden Chefärzten, die auch in den Chefarztrunden hoch emotional ausgetragen werden. Der weitaus ältere orthopädische Kollege nutzt immer wieder die angeblich „fehlende Erfahrung“ des jungen Kollegen, um ihn auch in der Öffentlichkeit zu diskreditieren.

Die Fronten verhärten sich und die untergeordneten Ärzte sowie das Pflegepersonal leiden zunehmend unter dem andauernden Konflikt. Patienten äußern ihr Unbehagen bezüglich der spürbaren Spannungen. Niedergelassene Kollegen verringern weiterhin deutlich ihre Überweisungen in die Klinik.

Bei dem konstanten Konflikt ist auch die Loyalität der Oberärzte und Assistenzärzte gefragt und sie werden gezwungen, Stellung zu beziehen. Es kommt zu Stellvertreterkonflikten.

Die unterschiedlichen Zuständigkeiten und gegensätzlichen Chefarztanweisungen führen bei den Pflegekräften im Stationsalltag zu wachsender Verunsicherung und Frustration. Die Patientenversorgung wird dadurch erschwert.

Der durchaus hoch qualifizierte junge Chefarzt denkt darüber nach, seine Fähigkeiten an einer anderen Klinik gewinnbringend einzubringen. Das Konzept der hausinternen Fachklinik für Plastische, Hand- und Ästhetische Chirurgie würde somit insgesamt gefährdet, und damit auch die zusätzliche Einnahmequelle für das gesamte Krankenhaus. Ganz zu schweigen von der weiteren Imageschädigung im Bereich der niedergelassenen Ärzte.

Welche Konfliktarten zeigen sich in diesem Konflikt?

Wie so oft im Klinikbereich gibt es hier unterschiedliche Konfliktarten, die die Anamnese und den Konfliktverlauf komplizieren.

Der Macht-/Verteilungskonflikt

Hier treten zwei der zentralen Konfliktarten auf. Auch wenn der orthopädische Chefarzt nicht mehr weit von der Rente entfernt ist, sieht er doch keinen Grund, Patienten, die zuvor in seinen Bereich gehörten, an den jungen Kollegen abzugeben. Hohe Patientenzahlen bedeuten für jeden Chefarzt Macht. Außerdem bestimmen sie die Verteilung der Betten,was ebenfalls zu lukrativen Fallzahlen führen kann.

Der Loyalitätskonflikt

Die nachgeordneten Ärzte und Pflegekräfte erleben eher einen Loyalitätskonflikt, da sie ja zum Teil beiden Bereichen zugeordnet sind. Es kommt zu Stellvertreterkonflikten innerhalb der Ärzteschaft, die besonders der Pflege zu schaffen machen. Anordnungen werden oftmals widerrufen und die Atmosphäre auf Station und im OP wird durch abwertende Bemerkungen und durch Gerüchte belastet. Eine generelle Orientierungslosigkeit macht sich breit, was auch bei den Patienten zu Unsicherheit führt und worüber sie nach den Klinikaufenthalten auch die niedergelassenen Ärzte informieren.

 Lösungsversuche 

Die Geschäftsführung der Klinik bittet die Chefärzte wiederholt zu Einzelgesprächen und appelliert an ihre Vernunft und ihren Sachverstand. Sie erinnert an die bereits getroffenen Neuregelungen bezüglich der Zuständigkeiten. Es kommt zu einem einzigen gemeinsamen Gespräch, in dem der Geschäftsführer sich unglücklicherweise vom älteren Chefarzt instrumentalisieren lässt. Außerdem versäumt er es, die Konsequenzen zu thematisieren, die bei Nichteinhaltung der Verteilungsregelung greifen.

Grundsätzlich ist er von der unsachlichen und emotionsgeladenen Diskussion genervt. „Wie zwei Kleinkinder im Kindergarten“, so nennt er den Gesprächsverlauf im Nachhinein, ohne dabei zu berücksichtigen, wie wenig er seiner Rolle als Moderator und Schlichter gerecht geworden ist. Stattdessen hat er sich immer wieder zu zustimmenden Bemerkungen hinreißen lassen und ist nicht in der Lage gewesen, die Gesprächsführung konstruktiv zu steuern.

Alle drei Parteien sehen auch dieses Gespräch als Beleg für die Inkompetenz der anderen. Der eigene Anteil an der Konflikteskalation wird konsequent negiert. Der Konflikt hat die Eskalationsstufe 5 nach Glasl erreicht: Gesichtsverlust.

 Anmerkung: Viele verwechseln Kompromisse mit dem Aufbauen einer emotionalen Nähe. Wenn ein Konflikt Stufe 5 erreicht hat, geht es nicht mehr um emotionale Nähe oder um Sympathie, sondern schlichtweg um tragfähige Kompromisse.

Weitere Informationen zu dem Thema Konflikte finden Sie hier:

Wie Konflikte eskalieren können

Standard Reaktionen auf Kritik

Wenn Zwei sich streiten: Anleitung zur Schlichtung

Video: Warum reagiert der immer so?